Minister Buchholz stimmte IHK-Vicepräses Konsul Jochen Brüggen zu, dass es nicht Aufgabe des Mittelstandes sein könne, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. Der vorliegende Regierungsentwurf sei in weiten Teilen zu unbestimmt und lasse die mittelständische Wirtschaft mit vielen Fragen zur Anwendung zurück.
Noch hält die Pandemie die Wirtschaft in Atem. Doch die Planungen für die Zeit nach Corona laufen bereits. „Die Inzidenzwerte und die hohe Impfquote weisen darauf hin, dass es bald vorbei ist mit vielen Beschränkungen und auch leidende Branchen wieder eine Chance bekommen. Wir müssen jetzt aus der Phase herauskommen, in der staatliche Hilfe nötig war. Dann kann die Aufholjagd gegenüber den südlichen Bundesländern beginnen“, sagte Dr. Bernd Buchholz, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein, in der Sitzung der Vollversammlung der IHK zu Lübeck. Das höchste Gremium der IHK tagte unter dem Vorsitz von Präses Friederike C. Kühn online und in Präsenz. Bereits im Mai des vergangenen Jahres hatte der Minister virtuell teilgenommen und sich den Fragen der Unternehmerinnen und Unternehmer zur Coronakrise gestellt.
Seinen Optimismus begründete Buchholz mit positiven Wirtschaftsdaten: Der Rückgang des Bruttoinlandsproduktes sei in Schleswig-Holstein mit weniger als vier Prozent deutlich geringer als in den süddeutschen Industrieländern mit mehr als neun Prozent Einbruch. Zudem sei der Arbeitsmarkt im Norden stabil: „Wir haben die Rekordmarke von mehr als einer Million sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse aus 2019 trotz der Krise behalten.“ Dieser Wert sei allerdings eine schlechte Nachricht für die Unternehmen, die bereits unter dem Fachkräftemangel leiden. Der Minister appellierte daher gemeinsam mit Präses Kühn an die Betriebe und Schulabgänger, die Anstrengungen für eine duale Ausbildung noch einmal zu erhöhen. „Sie ist ein idealer Einstieg in das Berufsleben und eröffnet jungen Menschen häufig größere Chancen als ein Studium“, betonte der Minister.
Wichtig sei es zudem, die Innovationsleistungen der Unternehmen zu erhöhen. Denn in den Industrie-lastigen Bundesländern dürfte das Wachstum nach der Krise höher ausfallen als in Schleswig-Holstein. Grund sei die ausgeprägte mittelständische Struktur im Land. Buchholz lobte die Stärke der kleinen und mittleren Unternehmen, flexibel und unbürokratisch auf Entwicklungen zu reagieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. „Wir müssen uns aber innovativer machen, um mit anderen Standorten mithalten zu können. Leider interessieren sich noch zu wenig mittelständische Unternehmen für die Start-ups und die Macher. Dabei sind diese doch sehr interessant“, betonte er mit Blick auf die unter anderem in Lübeck konzentrierte Start-up-Szene im HanseBelt. Auf den Hinweis von Präses Kühn, dass der Mittelstand schon Interesse habe an neuen Ideen, aber leider immer wieder damit rechnen müsse, bürokratische Knüppel zwischen die Beine zu bekommen, zeigte sich der Minister gesprächsbereit: Um die Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu verbessern, müsse er wissen, wo konkret etwas nicht funktioniert.
Kritisch äußerte sich der Minister zum in der Wirtschaft sehr umstrittenen Entwurf des sogenannten Lieferkettengesetzes. „Es wird einen Wettbewerbsnachteil für Deutschland bedeuten, weil wir wieder einen eigenen Weg gehen statt einen europäischen“, sagte Buchholz. Der Minister stimmte IHK-Vicepräses Konsul Jochen Brüggen zu, dass es nicht Aufgabe des Mittelstandes sein könne, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. Brüggen hatte zuvor über die Position des IHK-Ausschusses für Industrie und Technologie zum Lieferkettengesetz berichtet. Das Gremium fordert, dass der Gesetzgeber die Konkretisierung völkerrechtlicher Konventionen nicht den Unternehmen aufbürdet.
„Die überwiegend mittelständischen Unternehmen in Schleswig-Holstein sind sich ihrer Verantwortung für Nachhaltigkeit in der Lieferkette und in diesem Zusammenhang auch für die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten bewusst. Sie nehmen bereits seit Jahren darauf Einfluss“, betonte Brüggen, Vorsitzender des Ausschusses. Der vorliegende Regierungsentwurf sei in weiten Teilen zu unbestimmt und lasse die mittelständische Wirtschaft mit vielen Fragen zur Anwendung zurück. Zwar hätten die Ausschussmitglieder dem erklärten Ziel des Gesetzesentwurfs grundsätzlich zugestimmt, dass deutsche Unternehmen in einer Verantwortung stünden. Sie bemängelten jedoch, der vorliegende Entwurf würde die Komplexität und Vernetzung in der Wirtschaft in keiner Weise berücksichtigen. Die Vollversammlung folgte dem Votum des Ausschusses. Ein Vertreter der IHK hatte bereits im Umwelt- und Agrarausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags vorgetragen und um Unterstützung der Landesregierung für die Bedenken der Wirtschaft geworben.
IHK-Hauptgeschäftsführer Lars Schöning dankte dem Minister für den konstruktiven Dialog in der Sitzung und sein offenes Ohr für die Hinweise der Wirtschaft vor allem in der Coronakrise. „Einmal mehr zeigt sich, wie eng unser Draht zur Politik ist und was wir gemeinsam bewegen können“, sagte Schöning und warb bei den Unternehmerinnen und Unternehmern im HanseBelt dafür, sich ehrenamtlich für die IHK zu engagieren. Vom 8. November bis 7. Dezember 2021 wählen die rund 65.000 IHK-Mitglieder ihre neue Vollversammlung. Schöning rief Vorstände, Geschäftsführer, Inhaber und Selbstständige zur Kandidatur auf: „Als Mitglied der Vollversammlung können Sie über das umfangreiche Netzwerk der IHK mitwirken, gestalten und die Entwicklung der Region vorantreiben.“ Weitere Informationen gibt es im Internet unter: www.ihkwahl-luebeck.de.