Bahnstreik ab 2. September – Unverständnis der Reisenden wächst
Vor dem dritten Bahnstreik innerhalb weniger Wochen schwindet das Verständnis der Reisenden und Pendler für die Forderungen und vor allem das Vorgehen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).
Morgens um 5:38 fährt Jamila B. mit dem Zug von Lübeck nach Hamburg zur Arbeit. Sie arbeitet dort als „Paketpackerin“ bei einem großen Versandhandel und ist dankbar, diesen Job bekommen zu haben. In ihrer Heimat stand sie kurz vor dem Abschluss ihres Lehramt-Studiums. Zur gleichen Zeit fährt auch Peter L. mit dem Zug, um rechtzeitig in Hamburg zu sein, damit er und seine Kollegen sich zur Baustelle aufmachen können. Er arbeitet als Maler in einem kleinen Betrieb. Beide können weder für ein Haus sparen, noch jedes Jahr in den Urlaub fahren. Und trotzdem stehen sie jeden Morgen früh auf, fahren mit den Öffentlichen ca. 1,5 Stunden zur Arbeit und nachmitags wieder 1,5 Stunden zurück. “Die Zugfahrt dauert zwar nur ca. 45 Minuten, aber wer wohnt und arbeitet schon direkt am Bahnhof?“, kommentiert Peter L. die lange Wegstrecke.
Für den angekündigten Streik der Lokführer haben beide kein Verständnis. „Streikrecht hin oder her – ich hab so langsam das Gefühl, das macht die GDL nur, um zu zeigen, dass sie nicht überflüssig sind.“, ist er wütend, denn schon beim letzten Streik musste er lange auf seinen nächsten Zug warten, ist aber froh, dass überhaupt welche fuhren. Auch bei Jamila B. herrscht großes Unverständnis für den Streik. Sie hat sich gut informiert, fragt sich aber, ob das gerechtfertigt ist. „Ich hab zwar gelesen, was die GDL will, aber die können doch froh über ihren krisensicheren Job sein und ich glaube schon, dass sie bestimmt mehr bekommen als ich. Wenn ich also zufrieden bin, warum können die das nicht auch sein? Und die Deutsche Bahn ist doch ein bundeseigenes Unternehmen, kann da keiner was bei machen, dass hier Leute daran gehindert werden, ihren Arbeitsplatz zu erreichen?” Dieser Streik setzt sie unter Stress, denn sie hat Angst ihren Job zu verlieren, wenn sie nicht zur Arbeit kommt. Sie hat kein Auto, wie viele andere Pendler auch nicht. Eine Nacht wird sie auf der Couch einer Arbeitskollegin schlafen, um am nächsten Tag noch einmal arbeiten zu können und die restlichen Tage des Streiks Urlaubstage nehmen. „Wieso setzen die unsere Jobs auf´s Spiel, nur damit sie mehr Geld bekommen?“ ist sie verzweifelt. Eine ältere Dame kommt vorbei und sieht mich mit dem Block in der Hand: „Wir sollen doch auf den ÖPNV umsteigen, aber wenn wir es tun, bekommen wir nur Stöcke zwischen die Beine geschmissen. So wird das nichts. Schreiben Sie das mal.“ Jawohl, mache ich.
Darum geht es: Die GDL setzt sich für eine höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten ein. Angenommen wird, dass sie auch im Konkurrenzkampf mit der zweiten Bahn-Gewerkschaft EVG punkten will. Die GDL fordert eine Tariferhöhung um 1,4 Prozent im Jahr 2021 und 1,8 Prozent 2022 sowie eine Corona-Prämie von 600 Euro. Die Bahn ist zu einer Lohnerhöhung in diesem Volumen bereit, gestritten wird noch darum, zu welchen Zeitpunkten die einzelnen Stufen greifen und wie lange der neue Tarifvertrag gelten soll. Die GDL will eine Laufzeit von 28 Monaten. Das Bahnangebot liefe auf 40 Monate hinaus, was die Gewerkschaft ablehnt. Gesprächsbereit ist der Arbeitgeber auch beim Thema Corona-Prämie, wenn auch bislang ohne beziffertes Angebot. Streit gibt es außerdem über die anstehende Reform des Betriebsrentensystems.
Im Güterverkehr wird ab Mittwochabend, im Personenverkehr ab Donnerstagmorgen gestreikt. Der Streik soll fünf Tage andauern. Danach sind die Züge und Loks nicht immer da, wo sie gebraucht werden, daher ist nicht mit einem nahtlosen Übergang in den gewohnten Fahrplan zu rechnen. Bitte informieren Sie sich auf https://www.bahn.de
Die Bahn informiert Reisende u. a. über Kulanzen: hier klicken