Erstes Wrackteil des Hanseschiffs nach rund 400 Jahren aus der Trave geborgen Bergung und Dokumentation bis September 2023 – 3-D-Scan lässt Geschichte lebendig werden
Die Bergung des Hanseschiffs in der Trave hat begonnen: Seit dem 31. Mai 2023 laufen die vorbereitenden Arbeiten zur Bergung des Wracks. Heute, 5. Juni 2023, konnte rund 400 Jahre nach dem Sinken des Schiffs als erstes Teil ein Holzfass aus rund 11 Metern Tiefe geborgen werden.
„Es ist ein überaus bedeutender Fund für die Hansestadt Lübeck und gleichzeitig eine Identifikation mit der eigenen Geschichte. Die große Relevanz der Bergung führte dazu, dass die Bürgerschaft mit großer Mehrheit zustimmte. Stück für Stück kommen jetzt weitere wichtige Puzzleteile aus der Hansezeit ans Licht, die innovativ aufbereitet auch für zukünftige Generationen einen neuen Zugang zur Historie ermöglichen werden“, so Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau.
“Ein beladenes Schiff aus der späten Hansezeit, das so gut erhalten ist, kommt in dieser Form in der südlichen Ostsee bislang nicht vor und stellt alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen im Umgang mit diesem repräsentativen Kulturdenkmal. Es ist ein großartiges Zeichen, dass sämtliche Kommunal- wie Bundesbehörden hier gemeinsam begeistert an einem Strang ziehen, um dieses Projekt zu einem Erfolg zu verhelfen“, führt Senatorin Monika Frank aus.
“Diesen einmaligen Fund zu bergen, wissenschaftlich zu dokumentieren und zu untersuchen sowie dann die Ergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist ein ganz besonderes Projekt, das nicht nur bislang unbekannte Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse vom Ende der Hansezeit zutage fördert, sondern das auch stellvertretend für die weltoffenen und internationalen Verbindungen wie die Besinnung auf Ihre historischen Wurzeln steht, für die Lübeck ja heute bekannt ist und besucht wird“, ergänzt Dr. Dirk Rieger, Leiter des Bereichs Archäologie und Denkmalpflege.
Bis September 2023 soll die Bergung und Dokumentation des gesamten Schiffswracks inklusive Ladung durch die Firma Archcom in enger Begleitung durch die Archäolog:innen der Hansestadt Lübeck abgeschlossen sein. Bis dahin gilt es eine Fülle von Arbeitsschritten abzuleisten, denn bei der Bergung des Wracks handelt es sich nicht nur um das Heben von großen historischen Schiffshölzern, sondern auch um deren exakte Dokumentation nach den zurzeit gültigen und anerkannten wissenschaftlichen Standards. Diese inkludieren eine ganzheitliche 3D-Dokumention mittels Scan.
Arbeiten unter Wasser
Die ersten Tauchgänge in den vergangenen Tagen dienten vor allem der Markierung und Zustandsdokumentation unter Wasser. Nach der Markierung des Wracks wurde ein System aus festen Messpunkten als Referenz für die verschiedenen Phasen der Dokumentation eingerichtet. Somit können im Verlauf der Bergung alle einzelnen Arbeitsschritte durch Fotogrammmetrie beziehungsweise SFM (Structure-from-Motion) festgehalten werden. Hierbei handelt es sich um berührungslose Messmethoden und Auswerteverfahren, um aus Fotografien eines Objektes ein texturiertes und maßstabsgetreues 3D Modell zu erstellen.
Die Ausgrabung erfolgt zunächst unter Zuhilfenahme von Unterwassersaugern, die das Wrack umgebende Sediment schonend entfernen. Die Sauger werden durch Hochdruckpumpen, die auf dem Tauchschiff positioniert werden, betrieben und können mittels langen Schläuchen das gesamte Wrack erreichen.
Die Bergung erfolgt Schicht für Schicht – quasi von oben nach unten, bis zum Grund: Zuerst werden alle Fässer entfernt, dann aufliegende Hölzer bis das komplette Wrack freigelegt werden kann. Im weiteren Verlauf folgen die innen liegenden Hölzer, die Wrangen (innen liegende Planken, Spanten, und zum Schluss das Kielschwein und die Außenplanken. Abschließend wird der Untergrund unter dem Wrack untersucht und die Ergebnisse dokumentiert.
Arbeiten an Land
Alle Schiffsteile und Funde werden nach geltenden archäologischen Standards dokumentiert. Die Ergebnisse werden in einem Katalog zusammengefasst. Dieser bildet die Grundlage für eine weitere Auswertung und Erforschung des Schiffsfundes. Die Dokumentation der Schiffshölzer in den Räumlichkeiten der Halle in Schlutup erfolgt in vier Phasen:
Reinigung der Hölzer und Entnahme von Kalfatproben
Scan der Hölzer und Erstellung eines dreidimensionalen Modells
Fotografische Erfassung von Details auf den Hölzern
Beschreibung der Hölzer im 3D Modell, daraus erstellten Zeichnungen und in Textform
Alle Funde verbleiben nach der Erfassung und Dokumentation in der Lagerhalle in Schlutup. Sie werden zur Lagerung und Entsalzung in mit Frischwasser befüllte Wasserbecken verbracht.
Die Dokumentation der Fässer verläuft in vergleichbaren Schritten wie die der Schiffshölzer. Nach der Dokumentation müssen die Fässer soweit verpackt werden, dass sie nicht austrocken können. Dies schadet nicht nur den Hölzern, sondern führt auch im Fall des Branntkalks dazu, dass die Kalkkonkretionen (versteinertes Mineral) durch die zunehmende Trocknung instabil werden und anfangen zu zerbrechen.
Die Dokumentation sämtlicher Kleinfunde aus dem Inventar des Wracks wird durch den Bereich Archäologie vorgenommen. Nach einer ersten Reinigung werden sie ebenfalls mit einem Strukturlichtscanner gescannt, fotografiert und beschrieben und in einer Datenbank eingepflegt. Bei Metallfunden wird zunächst entschieden ob sie der Restaurierung zugeführt werden. Für organisches Fundmaterial wird eine entsprechende Konservierung veranlasst.
Altersbestimmung
Mit Hilfe von Holzproben erfolgt eine dendrochronologische Untersuchung, um genauere Informationen zum Alter und zur Herkunft des Schiffswrack zu erhalten. Hierzu werden Proben aus den Hölzern mit einer ausreichenden Anzahl von Jahresringen gesägt. Die Untersuchung erfolgt am neu eingerichteten Labor für Dendrochronologie an der TH Lübeck.
Bürgerschaft stimmt 2022 mit großer Mehrheit der Bereitstellung der Mittel zu
Fast ein Jahr genau nach der Entdeckung des Hanseschiffs am 24. November 2022, stimmt die Bürgerschaft mit großer Mehrheit der Bereitstellung der Mittel zur Bergung und Dokumentation des Wracks zu. Das außergewöhnlich gut erhaltene Fahrzeug ist nach Aussagen verschiedener Experten von großer Bedeutung für die Erforschung der hansezeitlichen Schifffahrt und durch Schiffsbohrmuschel, Strömung und Schiffsverkehr akut von der Zerstörung bedroht.
Bergungsfirma Archcom
Die polnische Bergungsfirma Archcom ist eine der wenigen europäischen Fachfirmen auf dem Markt, die Dienstleistungen auf dem Gebiet der Unterwasserarchäologie anbieten. Die junge Firma, deren Team sich aus Archäolog:innen und professionellen Taucher:innen zusammensetzt, hat sich dabei auf fachgerechte Dokumentation von Schiffsfunden nach modernsten Standards spezialisiert. Die Schiffe werden zunächst Unterwasser dokumentiert, dann geborgen und schließlich an Land detailliert beschrieben und für die Konservierung vorbereitet. In den vergangenen Jahren hat Archcom zahlreiche kleinere und größere taucharchäologische Ausgrabungen in Polen und Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt.
Weiterführende Informationen
Aktuelle Informationen zum Verlauf der Bergung sowie Hintergrundinformationen zum Hanseschiff, zur Historie und Bergungscrew sind online abrufbar unter www.luebeck.de/hanseschiff.
Das Bergungslogbuch unter www.luebeck.de/hanseschiff-logbuch informiert aktuell über den Stand der Arbeiten. Anhand des Zeitstrahls wird von der Entdeckung des Schiffswracks bis heute die erzählt.