Bücher von Frauen, über Frauen und für Frauen – und Männer

Für die Zeit ohne kulturelle Veranstaltungen geben zwei unabhängige Buchhändlerinnen, eine Verlegerin und eine Gleichstellungsbeauftragte interessante Literaturtipps für Leser*innen.

Seit einigen Wochen finden so gut wie keine kulturellen Veranstaltungen statt. Auch die musikalische Lesung mit der Berliner Verlagsgründerin Britta Jürgs musste ins nächste Jahr verschoben werden. Bereits erworbene Eintrittskarten werden in den Buchhandlungen zurückgenommen.

Gerne konzentriert man sich dann auf´s Lesen.

Britta Jürgs, Gründerin des Berliner AvivA-Verlags, empfiehlt zwei Bücher aus ihrem Verlag von Autorinnen, die bereits vor 100 Jahren ein ganz außergewöhnliches Leben führten und nicht im Geringsten der damaligen Frauenrolle entsprachen. Ihre Erlebnisse wirken auch heute noch erstaunlich aktuell und geben tiefe Einblicke in das damalige Leben:

Alma M. Karlin, “Einsame Weltreise”: Vor 100 Jahren brach Alma M. Karlin mit wenig Geld und ihrer Schreibmaschine im Gepäck auf, um die Welt zu erkunden. Was sie als alleinreisende Frau in Süd- und Nordamerika sowie in Ostasien erlebte, schildert sie voller Witz und (Selbst-)Ironie. Gerade weil unser Reiseradius momentan sehr eingeschränkt ist, ist es umso schöner, sich mit diesem Buch auf Reisen zu begeben. Ausserdem:

Lessie Sachs, “Das launische Gehirn”: Die in Breslau geborene und im New Yorker Exil gestorbene jüdische Schriftstellerin Lessie Sachs verfasste scharfsichtige Alltagsbeobachtungen und ironische Lebensweisheiten, schrieb über ihr Engagement während der Revolution 1918/19, über die Schwierigkeiten, sich 1937 in den USA zurechtzufinden – und darüber, wie wichtig Bücher für sie waren, als sie wegen ihrer politischen Aktivitäten im Gefängnis inhaftiert war. Gedichte, Geschichten und autobiografische Texte, die mal nachdenklich machen, mal zum Lachen bringen.

Katrin Bietz von Prosa – Der Buchladen in Lübeck hat ebenfalls ein Werk aus dem AvivA-Verlag aus dem Regal geholt: „Alles ist Jazz“ von Lili Grün. Im Zentrum steht die junge Schauspielerin Elli, die sich im Berlin der zwanziger Jahre alleinstehend durchschlägt und mit einigen Theaterfreund*innen ein Kabarett namens “Jazz” gründet. Realistisch zeigt der Roman Ellis Lebens zwischen Hunger, Armut und überbordender Lebensfreude und Kreativität. Die Hauptdarstellerin der Serie „Berlin Babylon“, Liv Lisa Fries, hat sich u.a. mit diesem Roman auf ihre Rolle vorbereitet.

Die zweite Empfehlung von Katrin Bietz ist Helen Wolff, „Hintergrund für Liebe“, Weidle Verlag. Im Sommer im St. Tropez Anfang der Dreißiger Jahre emanzipiert sich die Protagonistin still und entschlossen vom älteren Freund, der sich ihr jedoch anschließt. Beide erschaffen einen tragfähigen Hintergrund für Liebe – ein herrlich leichtfüßiger und sommerwarmer Roman.

„Durch die Corona-Präsenz in den Medien und dem Shutdown auch der Buchhandlungen haben viele Neuerscheinungen nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient haben“, weiss Juliane Hagenström von der Buchhandlung Bücherliebe in Stockelsdorf, und sagt: „Bücher über starke Frauen sollten uns gerade in diesen Zeiten auch als Augenöffner dienen.“

Dazu gehört die Biographie über die schwedische Malerin Hilma af Klint ( 1862-1944) von Julia Voss, „Die Menschheit in Erstaunen versetzen“, S. Fischer Verlag. Ein Buch, das sich fast wie ein Roman liest und der Pionierin der abstrakten Malerei des frühen 20. Jahrhunderts endlich die gebührende Aufmerksamkeit, die diese große Künstlerin, die ihrer Zeit schon während ihres Schaffens weit voraus war, lange verdient hat. Es ist mehr als lohnend, sich einige virtuelle Ausstellungsvideos dieser besonderen Künstlerin anzusehen. Beeindruckend.

Die Romanbiographie „Frieda“ von Dagmar Fohlaus dem Gmeiner Verlag gibt einer weiteren Künstlerin Raum. Die Autorin Dagmar Fohl erzählt den Lebensweg der Künstlerin Elfriede Lohse- Wächtler, die in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchte, den familiären und gesellschaftlichen Konventionen zu entkommen, um als freischaffende Künstlerin wirken zu können. Ihre äußeren Lebensumstände und der menschenverachtende Nationalsozialismus bestimmten aber das Schicksal dieser hochbegabten Künstlerin. Sprachlich so schön.

Auch der neue Roman von Eva Sichelschmidt aus dem Rowohlt Verlag hat in diesem Frühjahr nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die er eindeutig verdient. Es ist die fiktive Geschichte der westdeutschen Unternehmerfamilie Rautenberg von der Adenauer-Zeit bis zum wirtschaftlichen Verfall der Familie in den Neunziger Jahre, die den Leser und die Leserinnen nicht innehalten lässt. Ein grandios erzählter Roman zweier Frauenschicksale im Nachkriegsdeutschland, über die Verdrängungsmechanismen der jungen BRD bis zum Erwachen einer selbstbestimmten Frau. Unbedingt lesen.

Die Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Stockelsdorf empfiehlt zwei ganz unterschiedliche Bücher von Frauen über Frauen (und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen): „Das Haus der Frauen“ von Laetitia Colombani, S. Fischer Verlag, in dem es um eine Anwältin geht, die im Auftrag der Bewohnerinnen Briefe an verschiedenste Adressaten schreibt und darüber in das Leben der Begründerin dieses Frauenhauses eintaucht. Ein toller Roman über mutige, solidarische Frauen.

Die Gleichberechtigung in der Gegenwart ist das Thema der jungen Feministin Margarete Stokowski. In 75 ausgewählten Kolumnen, die sie für taz und Spiegel online schrieb, stellt sie fest, dass eine gleichberechtigte Gesellschaft bei uns noch lange nicht erreicht ist. „Die letzten Tage des Patriarchats“, rororo, ist eine Zusammenstellung ihrer Betrachtungsweisen und Analysen unseres Alltags. Witzig, entlarvend, provokant und sehr deutlich.

„Die Corona-Krise mit all ihren Ausprägungen und dem Shutdown macht deutlich, dass auch im Jahr 2020 vieles noch im Argen ist, wenn es um die Leistung von Frauen geht. Frauen halten derzeit alles am Laufen, ob in den Krankenhäusern, den Pflegeheimen, ob im Handel oder zu Hause. Überall versuchen Frauen mit Familien den Spagat zwischen Homeschooling, Betreuung von Kindern und Älteren, Homeoffice und Hausarbeit zu schaffen. Die Rollenverteilung ist immer noch viel zu tief in der Gesellschaft verankert, die sogenannten Care-Jobs erhalten zu wenig echte Wertschätzung und zu geringe Bezahlung, und in den Entscheidungsstrukturen sind Frauen immer noch zu wenig repräsentiert“, so die Buchhändlerinnen und die Gleichstellungsbeauftragte. „Mit unserer Literaturauswahl zeigen wir starke Frauen und Frauengeschichten und wollen damit aufzeigen, was alles möglich sein kann.“

Aussender: Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Stockelsdorf

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