Bildungslage scheint prekär: Nachhilfe wird immer notwendiger
Der Deutsche Lehrerverband veröffentlichte alarmierende Zahlen und schätzt, dass rund 80 Prozent der Schüler:innen eine zusätzliche Lernförderung brauchen. Darum wird das Projekt ,Überholspur’ der Gemeinnützigen Sparkassenstiftung zu Lübeck ausgeweitet. Wollen Sie Lernbegleiter:in werden?
Im August 2021 startete das von der Gemeinnützigen Sparkassenstiftung zu Lübeck entwickelte, gemeinnützige Modell- und Nachhilfeprojekt „Überholspur“ an der Trave-Gemeinschaftsschule in Kücknitz. Schüler:innen der 9. und 10. Klasse sollten ein Jahr auf ihrem Weg zum Schulabschluss begleitet, coronabedingte Lernrückstände aufgeholt werden. Aufgrund schneller Erfolge und sehr positiver Resonanz wurde das Nachhilfe-projekt vor vier Monaten auf einen zweiten Schulstandort, die Schule an der Wakenitz in Eichholz, ausgeweitet. Dort gaben Stefan Feilcke (Schulleiter), Frank Schumacher (Vorstandsvorsitzender der Gemeinnützigen Sparkassenstiftung) und Timur Aytekin (Pädagogischer Leiter beim Kinder- und Jugendhilfe-Verbund) aktuelle Einblicke in das Projekt. Die drei Verantwortlichen äußerten sich zu der Situation der Schüler:innen, wagten eine Prognose zu den gerade geschriebenen Abschlussprüfungen und hatten eine erfreuliche Neuigkeit im Gepäck: „Überholspur“ wird im Schuljahr 2022/2023 fortgesetzt.
„Das Nachhilfeprojekt hilft unserer Schule sehr, da die Schüler:innen eine zusätzliche Unterstützung erhalten, um sich auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten. Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir als zweiter Standort ausgewählt wurden“, betonte Schulleiter Stefan Feilcke zu Beginn des Pressegesprächs. Stiftungsvorstand Frank Schumacher erklärte: „Mit ‚Überholspur‘ wollen wir die noch immer spürbaren Auswirkungen von Schulschließungen und Distanzunterricht abfedern. Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Schüler:innen auf den Kopf gestellt, viele von ihnen haben auch mit mit psychosozialen Belastungen zu kämpfen.“ Tatsächlich ist die Lage prekär: Ein Viertel der Schüler:innen hat laut Bundesministerium für Bildung und Forschung große pandemiebedingte Lernrückstände – vielleicht sogar dramatische. Auch der Deutsche Lehrerverband veröffentlichte alarmierende Zahlen und schätzt, dass rund 80 Prozent der Schüler:innen eine zusätzliche Lernförderung brauchen. Für Timur Aytekin vom KJHV steht daher fest: „‚Überholspur‘ hat für uns eine hohe Bedeutung, gerade im Hinblick auf die vergangenen zwei Jahre. Die intensive Betreuung kann den Schüler:innen helfen, ihren Schulstoff besser zu verstehen und wieder ein größe-res Selbstbewusstsein aufzubauen.“
Schnelle Erfolge
In Eichholz nehmen seit Januar durchschnittlich 40 Schüler:innen an „Überholspur“ teil und erhalten einmal wöchentlich Nachhilfe in den Kernfächern Deutsch, Englisch oder Mathematik. „Die Schüler:innen sind sehr dankbar für das Angebot und arbeiten motiviert mit. Natür-lich muss der ein oder andere häufiger mal an den Termin erinnert werden, aber das ist bei einem freiwilligen Projekt dieser Art normal. Man darf nicht vergessen, dass die Schüler:innen nach einem langen Schultag noch einmal 90 Minuten investieren“, berichtet Leh-rerin Jasmin Stodolka. Zeit, die sich auszahlt. Aktuell werden die Abschlussprüfungen in den 9. und 10. Klassen (ESA und MSA) geschrieben und es zeichnet sich eine positive Tendenz ab. „Wir dürfen noch nichts verraten, aber viele der Schüler:innen haben bereits im Fachun-terricht eine große Entwicklung gezeigt“, gibt Schulleiter Feilcke erste Einblicke. Die Ergebnisse der Abschlussprüfungen stehen am 23. Mai fest – und sind dann auch ein Indikator für den Erfolg von ‚Überholspur‘. Positive Nachrichten gibt es auch aus Kücknitz zu vermelden, wo das Projekt seit knapp einem Jahr läuft. Hier wurden im Januar die Halbjahresnoten der teilnehmenden Schüler:innen ausgewertet: Von den 36 Jugendlichen haben sich 15 um eine Note verbessert und sieben sogar um zwei Noten. Ein großartiger Erfolg, an dem die engagierten Lernbegleiter:innen maßgeblichen Anteil haben.
Einblick in die Arbeit mit den Schüler:innen
Genau wie in Kücknitz zeigen sich auch die zehn Lernbegleiter:innen in Eichholz – unter ihnen vor allem Ruheständler und ehemalige Lehrkräfte – regelrecht begeistert vom Projekt und den Schüler:innen. Uwe Broders (67), studierter Germanist und später Leiter einer Optiker-Lehrwerkstatt, lobt das tolle Miteinander und die Atmosphäre: „Meine Kleingruppe unterstützt sich gegenseitig. Ich bin wirklich froh, mich beworben zu haben und habe das Gefühl, etwas im Leben der jungen Menschen bewirken zu können.“ Fritz Leopold (69), ehemaliger Englisch- und Geschichtslehrer, stellte schnell erste Teilerfolge fest: „Hör- und Lese-verstehen haben sich schon deutlich verbessert. Inzwischen können wir auch längere Texte lesen, ohne dass jemand abschaltet. Das erklärte Ziel ist der erfolgreiche Schulabschluss. Ich wünsche mir, dass die Schüler:innen danach entweder mit der Schule weitermachen oder in eine Ausbildung starten können.“ Erwähnenswert ist, dass die Lernbegleiter:innen immer wieder große Flexibilität beweisen. Aktuell wurden bereits Achtklässler:innen in die Lerngruppen integriert. „Diese Zielgruppe hat aufgrund ihrer langen Zeit im Distanzunterricht besonders gelitten und braucht daher auch dringend Unterstützung“, unterstreicht Feilcke.
Fortsetzung und Ausweitung des Projekts
Nach den Sommerferien bilden die jetzigen achten und neunten Klassen den nächsten Überholspur-Jahrgang. Denn: „Überholspur“ geht in die zweite Runde! „Wir haben uns aufgrund der sehr positiven Resonanz – sowohl von Schulleitung, Schülerschaft als auch Lern-begleitung – dazu entschieden, das Modellprojekt fortzusetzen“, verkündet Schumacher. „Wir haben seit August mehr als 80 Schüler:innen kostenlosen Nachhilfeunterricht anbieten können und sehen die positiven Effekte. Aus unserer Sicht kann die persönliche Bindung zu den Lernbegleiter:innen den Unterschied bei der Erreichung des Schulabschlusses ausmachen.“ Mit an Bord sind auch wieder die Projektpartner Vorwerker Diakonie und der Kinder- und Jugendhilfe-Verbund (KJHV), die an den jeweiligen Schulstandorten für die organisatorischen Rahmenbedingungen zuständig sind und ihre Expertise einbringen. Die Gemeinnützige Sparkassenstiftung trägt die Kosten für die Lernbegleiter:innen. Aktuell wird sogar eine Projektausweitung auf weitere Schulstandorte geprüft. Interessierte potenzielle Lernbegleiter:innen können sich gerne bei der Stiftung melden.