Subjektiv betrachtet
Sonntag in Travemünde
Travemünde
(Foto: Jörg Schiessler/Stodo.NEWS)
Man neigt dazu, Menschen immer in Gruppen zusammenzufassen: Die Schleswig-Holsteiner (sind distanziert), die Nordrhein-Wesfalen (sind kumpelhaft), usw. Leider reissen unverschämte Individuen alle anderen mit runter, so dass sich das Bild der „rücksichtslosen Touristen“ etabliert.
Der Strand und ganz Travemünde waren am Sonntag voll. Ich war nicht freiwillig dort, denn zu dieser Jahreszeit meide ich die Küstenorte wenn ich kann, aber meine Freundin ist dort im Urlaub und wollte nicht nach Lübeck kommen. 

Man müsste sich ja darüber freuen, dass die Gastgeber und Restaurants wieder Geld verdienen und viele Menschen Ostholstein und das Meer lieben, aber ich habe zunehmend das Gefühl, ich ertrinke in Touristenmassen. 

Und die sind teilweise sehr rücksichtslos. Da saßen wir zum Beispiel auf einer Bank mit Sicht auf´s Wasser, zwischen uns der Hygieneabstand, immerhin sind wir sogar aus verschiedenen Bundesländern. Kommt ein älteres Ehepaar und beschwert sich mit Dialekt (irgendwas hessisches), dass wir so weit auseinander sitzen, dass sie gar nicht mehr mit auf die Bank passen. Wir verwiesen freundlich auf die nebenstehende Bank, die leer war. Nein, man wolle aber unbedingt auf dieser Bank sitzen. Der Ton des älteren Touristenpaares war so unfreundlich, dass wir sitzen geblieben sind. Hätten sie uns freundlich gefragt, hätten wir ihnen sehr wahrscheinlich den Sitzplatz überlassen. 

Eine Stunde später stehe ich mit zwei Wasserflaschen in der Kassenschlange eines Geschäftes. Die Schlange ist nur vier Menschen lang, es geht zügig vorwärts, der Tourist vor mir ist gerade am Bezahlen. Kommt eine Touristin von hinten angestürm:“Sorry, ich hab nur diese vier Sachen, kann ich vor?“ Die Dame hinter mir reagiert als Erste, sie hatte wahrscheinlich schon in jeden Korb geschaut: „Wir haben alle nicht mehr“, und ich freue mich zu hören, dass sie schwäbelt. Ich hebe zum Beweis meine zwei Wasserflaschen und schüttle den Kopf. Hätte sie mir einen plausiblen Grund genannt, wäre ich ihrer Bitte wohl nachgekommen, aber nur wegen „ich will nichts von meinem Urlaub verpassen“ oder „mir ist langweilig wenn ich hier stehe“ lasse ich micht nicht mehr von Touristen erweichen.

Manchmal würde ich wirklich gern wissen: Benehmen die sich zu Hause auch so? Oder denken sie, weil sie Kurtaxe zahlen, haben sie irgendwelche Privilegien erworben? Am Urlaubsort immer die/der Erste an der Supermarktkasse; immer genau den Sitzplatz, den man haben will,…Oder sind sie nur genervt, weil es ihnen zu voll ist?

Aber natürlich gibt es da auch die Netten, deren Anteil zum Glück überwiegt. Mit denen kommt man gern ins Gespräch und verrät ihnen gern auch mal einen Geheimtipp. Also alles wie im normalen Leben, nur geballt und mit vielen unterschiedlichen Dialekten.
Alexandra Kühl